Im Besuchsdienst der Krankenhausseelsorge  Hans-Joachim Hein


Es fällt ein großer Stein auf mich herab.
Ich stehe einen Schritt daneben
na eben!
Ich seh`den Stein vom Himmel fallen
und fang`vor Angst gleich an zu beben,
na eben!
So vieles will ich Dir erzählen,
kann doch vor Hemmungen nicht reden,
na eben!

Die Fürsorge füreinander vermindert die Bereitschaft zum Krieg und macht das Leben angenehmer. Aber, selbst im Leben stabil sein, ist das Wichtigste. Erst, wenn man selbst stabil ist, ist es sinnvoll, Fürsorge für Andere anzustreben, es sei denn, es fallen einem leicht Durchfürbares in die Hände. Stabile Menschen, die in aller Bescheidenheit für Andere sorgen, sind die wahren Helden. Aber auch die sind wertzuschätzen, die selbst stabil sind und keinen unnötigen Schaden anrichten.

 

Zum Geleit

 

Brigitte Prem

 

Aspekte für Krieg und Frieden

 

 

 

Ich bin ja der Meinung, dass es Unrecht ist, dem Einzelnen die Last für den Weltfrieden aufzulasten. Was kann der Einzelne tun, um politische, wirtschaftliche und militärische Aspekte des Krieges zu steuern?

 

Die Gesellschaft schützt ihre Mitglieder ausnahmslos vor Armut, sagt man. Aber nicht einmal dazu kann der Einzelne viel beitragen, besonders nicht, wenn er/sie sich selbst arm fühlt. Aspekt soziale Gerechtigkeit. Nicht einmal zur sozialen Gerechtigkeit kann der Einzelne viel beitragen.

 

Kultureller Aspekt: Unter Identität verstehen wir das Selbstverständnis bzw. die Selbstwahrnehmung der eigenen Person (persönliche Identität) bzw. der eigenen Gruppe (soziale Identität). Das Gelingen von positiven Identitätserfahrungen ist besonders wichtig für die persönlicher Verankerung des einzelnen bzw. das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gruppe.

 

Verletzungen der Identität führen zu Gewalt

 

Nach tiefgreifenden Verunsicherungen bzw. Verletzungen von Identitäten kommt es häufig zu Gewaltausbrüchen.

 

Schon, wenn man einem Gruppenzwang unterworfen ist, sei es auch nur eine kleine Gruppe wie die Familie, ist man ziemlich machtlos.

 

Aber man trägt zum Frieden bei, wenn man selbst eine starke Mitte hat und die Identität des Anderen anerkennt. Und damit meine ich überhaupt nicht nationale Identität, sondern das, als was sich der Andere sieht. Das Selbverständnis des Anderen zu verletzen tut weh. Das weiß ich. Das habe ich erlebt. Und das führt zu Gewalt. Ich wurde selbst aggressiv.

 

 

 

Möglichkeiten des Einzelnen für den Frieden zu arbeiten

 

Man trägt zum Frieden bei, wenn man selbst eine starke Mitte hat und die Identität des Anderen anerkennt. Und damit meine ich überhaupt nicht nationale Identität, sondern das, als was sich der Andere sieht. Das Selbverständnis des Anderen zu verletzen tut weh. Das weiß ich. Das habe ich erlebt. Und das führt zu Gewalt. Ich wurde selbst aggressiv.

 

  1. Man bemühe sich also um eine starke Mitte.

  2. Man bemühe sich, die Identität des Anderen nicht zu verletzen.

  3. Wir diskutierten über Sozialcourage, über den Mut, "Armut" zu sehen und etwas zu tun. Und Armut gibt es auch in reichen Gesellschaften, oh ja!

    "Arm bin ich nicht, ich hab' nur wenig Geld", sagte mir eine Packelschupferin.

    Wer ist arm?

    Und es gibt sie, unsere Sozialhelden. Hierzu folgendes Beispiel eine Geschichte von Hans-Joachim Hein .

 

 

Dr. Hans-Joachim Hein

 

Im Besuchsdienst der Krankenhausseelsorge

 

 

Vierzehn Jahre nach der Wiedervereinigung wurde Michael Pensionär. Er beendete seine Tätigkeit als Hochschullehrer an der Universität. Zuletzt leitete er eine Arbeitsgruppe und war international tätig und Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften. Auch nach seiner Pensionierung arbeitete er noch im Ausland als Hochschullehrer in seinem Fachgebiet: Angewandte Bio-physik und Medizinische Physik. Diese Tätigkeit wurde vom DAAD (Deutscher Akademischer Auslandsdienst) gefördert. In seinem Wohnort gab er Unterricht bei einem privaten Bildungsträger auf seinem Arbeitsgebiet und der Nanotechnologie. Diese Tätigkeit wurde vom Arbeitsamt gefördert. Aber der Leiter der Einrichtung starb bald und damit auch der Bildungsträger. Immerhin war Michael noch sportlich und kommunikativ, von mittelgroßer Gestalt und fiel auf den ersten Blick in der Menge nicht sonderlich auf. Aber er war nach wie vor an vielen Dingen sehr interessiert und irgendwie immer aktiv.

 

So kam es, dass er eines Tages in der Zeitung eine Anzeige las, in der für die ehrenamtliche Mitarbeit im Besuchsdienst der Krankenhausseelsorge geworben wurde. Hm, das schien ihm interessant. Aber es war ein katholisches Kranken-haus und Michael war evangelisch getauft! Zur Konfession wurde nichts in der Zeitung geschrieben! Neugierig, wie er nun einmal war ging er zur angegebenen Zeit zum Treffpunkt! Das war Ende 2008. Sein Einsatz als Gastdozent an der Uni in Klausenburg (Rumänien) war gerade im Juni beendet.

 

Also schrieb er sich ein und es begannen, immer Sonnabendvormittag, die Unter-weisungen. Die Station konnte man sich weitgehend aussuchen. Er ging in die Kardiologie. Mit der Konfession gab es keine Probleme. Schließlich hatten ja alle eine Seele, die gepflegt werden wollte. Im Krankenhaus wurden Menschen aller Glaubensrichtungen aufgenommen.

 

Er ging nach Abschluss des Lehrganges einmal in der Woche ins Krankenhaus, um Patienten ein Stück ihres Weges zu begleiten und auch zu trösten. Es war oft

 

anstrengend. Manchmal aber wurde er auch dadurch belohnt, dass er mit dem Gefühl das Krankenhaus verließ, seinem Gesprächspartner Mut und Trost gegeben und Zeit gespendet zu haben. Bei all diesen Gesprächen haben sie kaum über Gott gesprochen und selten über die Religion.

 

Der Besuch gestaltete sich folgendermaßen: Am Eingang hat Michael seine Hände gründlich desinfiziert und ging dann zur Theke, hinter der die Schwestern ihre Arbeit verrichteten. Mit einem freundlichen „Hallo, da bin ich wieder, machte er auf sich aufmerksam und fragte gleich nach Patienten, die für ein Gespräch infrage kommen könnten. Die Schwestern kannten die Probleme der Patienten und erkannten häufig bei welchen Patienten ein Gespräch, sozusagen von unabhängiger Seite, hilfreich wäre. Sie waren sehr kooperativ und Michael hatte den Eindruck, dass sie sich freuten, wenn er kam. Es kam auch vor, dass Patienten ein solches Gespräch suchten, manchmal auch mit den in der Seelsorge tätigen Ordensschwestern.

 

Wie lange er dann zu tun hatte war völlig offen. Das hing von den Patienten ab. Sie hatten das Sagen und das war wörtlich zu nehmen. Wenn allerdings das Abendessen vorbereitet wurde, war auch für Michael Feierabend.

 

Es gab auf der Station mehrere Dreibettzimmer, einige davon waren nicht voll belegt. Die Namen waren außen an der Tür angebracht. Der obere gehörte zum Patienten gleich hinter der Tür und der untere zu dem am Fenster. Das erleichterte Michael die Zuordnung, denn die Schwester nannte ihm den Namen des Patienten, der ihrer Meinung nach für ein Gespräch infrage kam. Er stellte sich immer mit seinem Namen vor und sagte, dass er im ehrenamtlichen Besuchsdienst der Krankenhausseelsorge tätig sei. Nach einer kurzen Pause fragte er:“ Wie geht es ihnen? Möchten Sie sich mit mir unterhalten? Bedrückt Sie etwas, worüber sie mit mir reden möchten?“ Sein Kandidat, Herr Meißner sah ihn verwundert an und schwieg. Als Michael ihn fragte, wann er ins Krankenhaus gekommen sei, wurde Herr Meißner gesprächiger, zögerlich zwar, aber immerhin. Dann erzählter er, dass

 

er jetzt fünfundachtzig Jahre alt sei und bisher nie ernsthaft krank gewesen war. Er sei christlich erzogen und das war gut so! Er wäre beinahe nicht konfirmiert worden, weil er keine ordentliche, lange Hose und keine passende Jacke hatte. Sie wären zu Hause elf Kinder und er wäre der jüngste von sechs Jungen gewesen. Aber es gab nur einen Anzug und der war für ihn schon sehr verschlissen. Etwa eine Woche vor der Konfirmation nahm ihn der Pfarrer dann beiseite und kleidete ihn ein. Das würde er ihm nie vergessen. Es war sein erster Anzug mit dem er sich hätte sehen lassen können.

 

Er erzählte dann seine halbe Lebensgeschichte. Plötzlich fragte er Michael, ob er Pfarrer, katholischer Pfarrer sei. Michael antwortete, dass er kein Pfarrer und auch nicht katholisch sei. Herr Meißner war sichtlich froh über die Antwort!

 

Als Michael wieder zu Hause war, dachte er noch an dieses Gespräch und an die Frage des Patienten. Hatte er vielleicht Angst davor gehabt, dass Michael seinen geistlichen Abschied von dieser Welt vorbereiten wollte? Es tauchte öfter die Frage nach Gott auf. Existiert er denn, wenn er all das Leid auf der Welt zulässt? Viele Patienten haben es gesehen oder selbst erfahren! Das war dann für Michael der schwierigste Teil in einem Gespräch!

 

Ein völlig anderer Fall war Frau Lehmann, die sechsundachtzigjährige Frau eines inzwischen verstorbenen Landarztes. Er war zwanzig Jahre älter als sie. Als Krankenschwester hatte sie ihm in der Praxis geholfen und ist gelegentlich auch mit ihm übers Land gefahren. Außerdem hatte sie Haus und Hof versorgt, wie sie erzählte. So war sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend immer beschäftigt. Das habe sie schließlich fit gehalten. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie dann in die Stadt nach Halle gezogen, wo sie Bekannte hatte. Sie hatte ihre eigene Wohnung und sich selbst versorgt. Doch sie bekam Probleme mit dem Herzen und kam dann zur Beobachtung in die Klinik. Zu ihrer eigenen Sicherheit bekam sie einen Platz in einem Seniorenheim. Sie bat Michael, sie doch dort einmal zu besuchen. Das wurde aber von der Leitung der Seelsorge nicht so gern gesehen. Zu enge private Kontakte waren offenbar nicht erwünscht! Doch Michael versprach ihr, sich im Seniorenheim zu melden. Nach etwa drei Wochen rief er dort an. Ach, wie hatte sie sich gefreut. Es gefiel ihr im Heim gut, das Personal sei sehr nett und auch das Essen sei gut. Aber stellen Sie sich mal vor: Viele Mitbewohner, alles alte Leute, schauen nur den ganzen Tag aus dem Fenster und sind nicht in der Lage oder willens, ein vernünftiges Gespräch zu führen.

 

Sie beklagte auch, dass sie nicht mehr so gut lesen könne, da ihr die Augen Probleme bereiteten. So war manchmal Langeweile kaum zu vermeiden, die sie bisher in ihrem Leben nie kannte und nicht ausstehen konnte.

 

Bei einem der nächsten Besuche traf Michael nur zwei Patienten im Zimmer an. Einer lag im Bett und hatte den Fernseher eingeschaltet. Der andere saß am Tisch und las in einer Zeitschrift. Als Michael sich vorstellte, stand der am Tisch sitzende Patient auf, winkte ab und meinte, er sei Atheist und deshalb interessiere Michael ihn nicht. Er verließ das Zimmer. Nach zwei weiteren Besuchen wollte Michael die Station verlassen. Doch auf dem Flur sah er den „Atheisten“ an einem Tisch sitzen. Offenbar wartete er auf Michael. Nanu was ist denn passiert dachte Michael bei sich. Er fragte Michael, ob er vielleicht doch noch fünf Minuten Zeit für ihn hätte. Michael antwortete, natürlich habe er Zeit für ihn, deshalb sei er ja hier!

 

Aus den fünf Minuten wurde es dann fast noch eine dreiviertel Stunde, die sie miteinander geredet haben. Nun doch über Gott und die Welt und vor allem über ihn, sein Schicksal und seine Familie. Das Gespräch hat beiden gutgetan und dem Patienten offensichtlich wieder Kraft gegeben. Aber die Schwestern rätselten, worüber Michael sich so lange mit dem „Asozialen“ unterhalten hätte. Das war eine krasse Fehleinschätzung einiger Schwestern!

 

Die Gespräche im Krankenhaus konfrontierten Michael mit sehr vielen unter-schiedlichen Lebensschicksalen, die ihn oft auch selbst belasteten. So traf er eines Tages Herrn Dr. Keppler, ein bekannter Arzt zu DDR-Zeiten. Er war sehr kommunikativ. Seine Frau wäre kürzlich schwer erkrankt und er mache sich große Sorgen um sie. In seinem Haus hatte er eine Bibliothek aufgebaut, doch sein Sohn interessierte sich nicht dafür, obwohl er es auch und vor allem für ihn getan hatte.

 

Michael bemerkte, dass sie beide sogar gemeinsame Bekannte hatten. Dr. Keppler redete sich richtig frei! Doch das Abendessen wurde schon bereitgestellt und sie mussten das Gespräch unterbrechen. Sie verabredeten sich für die nächste Woche. Als Michael in der darauffolgenden Woche nach ihm fragte, teilte ihm die Schwester mit, dass er vor zwei Tagen verstorben sei! Das war ein Schock für Michael, hatte er ihn doch in der vergangenen Woche in sehr aufgeräumter und zuversichtlicher Stimmung verlassen.

 

Als bald darauf die Leitung der Krankenhausseelsorge wechselte, benutzte Michael die Gelegenheit seine Tätigkeit zu beenden. Fünf Jahre waren lange genug und die psychische Belastung hunderter Begegnungen schließlich doch zu hoch.